
01 Feb Unternehmerische Nachhaltigkeits-Transformation und Wachstum – Widerspruch oder Chance?
Die EU-Taxonomie und steigende Transparenz-Anforderungen verdrängen nicht-nachhaltige Unternehmens-Praktiken. Denn die EU verordnet mit dem European Green Deal Europa eine sogenannte „nachhaltige“ Wachstumsstrategie. Der regulierte Finanzsektor wird genutzt, um Geldströme von Banken und Vermögensverwaltern in nachhaltige (ESG) Investments umzulenken.
Sozio-ökologische Disruptionen erfordern neue Geschäftsmodelle
Für Unternehmen bahnt sich ein Veränderungsbedarf an, der in der Betriebswirtschaft mit dem S-Kurven-Konzept veranschaulicht werden kann: Wenn Strategien und Geschäftsmodelle durch Disruptionen an ihre Leistungsgrenze kommen, wird ein „Sprung“ auf die nächste Stufe der Entwicklung (d.h. auf eine neue S-Kurve) benötigt, um in Zukunft noch erfolgreich zu sein. Dieses Phänomen zeigt sich insbesondere bei umwälzenden technologischen Innovationen. Es lässt sich auch auf die Situation übertragen, die durch sozio-ökologische Disruptionen entsteht: Waren bislang die sozialen und ökologischen Auswirkungen nicht-nachhaltiger Wirtschaftstätigkeiten von Unternehmen weitgehend intransparent und kostenlos, so werden sie durch neue Anforderungen wie die EU-Transparenzvorschriften, veränderte Kundenwünsche oder Risikobewertungen von institutionellen Investoren nun teuer und für alle Interessengruppen sichtbar.
EU-Taxonommie: zukunft durch einklang
Doch was ist nun ein von der EU proklamiertes „nachhaltiges Wachstum“? Hier helfen Denkweisen und Modelle, die jenseits von schrittweiser Schadensreduktion darauf basieren, dass die sozialen und ökologischen Systeme (Gesellschaft und Umwelt) unbeschadet bleiben oder sogar regeneriert werden. Unternehmen, die unter die EU-Richtlinie zur CSRD-Berichterstattung fallen, müssen ihre Umsätze und Investitionen anhand der EU-Taxonomie einordnen und damit offenlegen, wie „nachhaltig“ ihre Wirtschaftstätigkeiten sind. Die Nachhaltigkeitsberichtspflicht wird mit neuen Standards vereinheitlicht und ausgeweitet. Sie betrifft dann bereits Unternehmen ab 250 Mitarbeitern, unabhängig davon, ob sie kapitalmarktorientiert sind. Die EU will ihre Nachhaltigkeitsziele mit verschärfter Regulierung und mehr Transparenz erreichen. Wenngleich Bausteine wie die EU-Taxonomie und die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) erst in Teilen vorliegen, ist schon jetzt erkennbar, dass darin Grundgedanken eines nachhaltigen Wirtschaftens im Einklang mit ökologischen und sozialen Prinzipien angelegt oder bereits enthalten sind. Damit wird das Prinzip der starken Gewinnorientierung ohne Beachtung von unkompensierten ökologischen und sozialen Auswirkungen (negative Externalitäten) in Frage gestellt. Ökologisch und sozial schädliche Wirtschaftsweisen werden langfristig aus dem Markt gedrängt.
WAS bedeutet dies für geschäftsstrategien?
Durch die neuen Entwicklungen bewegt sich der Nachhaltigkeits-Fokus in Unternehmen weg von peripheren Initiativen und reputationsorientierten Kommunikationsmaßnahmen hin zum Kerngeschäft. Ein inkrementelles Verbessern von ESG-Kriterien in Relation zu selbst gesetzten Referenzwerten, wie es von vielen Unternehmen heute praktiziert wird, ist allein nicht ausreichend, um den beschriebenen unternehmerischen und gesellschaftlichen Pfad des nachhaltigen Wachstums zu beschreiten. Denn die Transparenzpflichten legen mit klaren Kriterien zur Überprüfung des Klima- bzw. Umweltbeitrags von Wirtschaftsaktivitäten offen, wie es um die Nachhaltigkeitsambitionen von Unternehmen bestellt ist. Kein „Trend“ wie jeder andere, sondern auch ein Paradigmenwechsel für die Strategiearbeit. Jenseits der Erfüllung von Reportingpflichten ergeben sich durch die neue Regulierung auch neue unternehmerische Chancen. Damit Unternehmen erfolgreich wirtschaften und durch Innovationen auch an einem milliardenschweren Zukunftsmarkt für Nachhaltigkeitslösungen partizipieren können, sind zukunftsfähige Strategien und Geschäftsmodelle erforderlich. Die basieren auf unternehmerischen Denkweisen zur Verknüpfung von Strategie und Nachhaltigkeit, die das reine Shareholder-Value- oder kurzfristige Business Case-Denken verlassen und Geschäftslogiken entwickeln, die langfristig im Einklang mit sozio-ökologischen Prinzipien stehen und damit „enkeltauglich“ sind.
Vielen Dank von Isabell Sprenger und Thomas Wunder an Achim Dannecker vom Vorstand des Wirtschaftsclubs im Literaturhaus in Stuttgart. Wir hatten die Gelegenheit, in der letzten Business Lunch Veranstaltung 2021 gemeinsam einen Impulsvortrag in der Reihe „Wachstum! Wachstum?“ zu halten. Herzlichen Dank an Prof. Dr. Péter Horváth, Erich Zahn, Marita Mollenhauer, Carmen Finckh und den weiteren Gästen für inspirierende Diskussionen während und nach der Veranstaltung.