eu taxonomie

Neue Offenlegungspflichten und EU-Taxonomie: Beginn einer Zeitenwende für Nachhaltigkeitsberichte, Rechnungslegung und Strategieentwicklung

Neue Offenlegungspflichten, EU-Taxonomie und Strategie

Mittelständische Unternehmen kommen für das Berichtsjahr 2023 in neue, umfangreiche
Offenlegungspflichten zu ihren Nachhaltigkeitsleistungen. Lesen Sie hier

➢ warum es die CSRD und EU-Taxonomie gibt,
➢ welche Standards noch zu erwarten sind,
➢ was das für Sie bedeutet,
➢ welcher strategische Nutzen für Sie daraus entstehen kann und
➢ wie Sie sich bestmöglich vorbereiten.

Wenn Sie zum Kreis der künftigen Anwender gehören, laden wir Sie herzlich
zur Teilnahme in die LinkedIn-Gruppe „EU-Taxonomie“ ein: https://lnkd.in/ehtHeAsA

In Deutschland müssen zukünftig mittelständische Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsperformance im Lagebericht offenlegen. Dabei sind auch nachhaltige Umsatzanteile, Investitionen (CapEx) und betriebliche Ausgaben (OpEx) zu berichten. Und zwar auf Basis von eindeutigen und vergleichbaren Kriterien. Die Ergebnisse werden für Hausbanken, Investoren und Geschäftspartner entscheidungsrelevant. Weitere Regulierungen auf europäischer und globaler Ebene sind bereits angekündigt. All diese Entwicklungen definieren einen neuen Anspruch an Management-Praktiken in Nachhaltigkeits- und Finanzbereichen. Abhängig vom Mindset der Anwender können die gewonnenen Erkenntnisse wertvolle Impulse für nachhaltige Geschäftsstrategien und das Business Development liefern. Erstberichtende sollten eine ausreichende Vorbereitungsphase einplanen.
Die EU hat sich im Rahmen des European Green Deal umfassende Nachhaltigkeitsziele gesetzt, die sie mit verschärften Transparenzvorschriften umsetzen will. Zwei Reporting-Instrumente werden Unternehmen in den nächsten Jahren besonders betreffen: die (reformierte) Nachhaltigkeitsberichtspflicht und die mit ihr verknüpfte EU-Taxonomie. Mit der Veröffentlichung der Delegierten Verordnungen zur EU-Taxonomie im EU-Amtsblatt am 9. Dezember 2021 ist nun die Grundlage für erstmalige Ermittlung von verpflichtenden Taxonomie-Angaben geschaffen.

Aktuelle Praxis: Triple Bottom Line-Ansatz und ESG-Steuerung

Die bislang verbreitete Unternehmenspraxis in Bezug auf Nachhaltigkeit folgt CSR-Management-Ansätzen wie der „Triple Bottom Line (TBL)“ (wörtlich: der dreifache Schlussstrich). Dieser Begriff wurde 1994 von John Elkington geprägt und 2018 von ihm selbst im Harvard Business Review wieder zurückgerufen, weil die unternehmerische Anwendung zu einem „Trade-off Denken“ zwischen wirtschaftlichen und sozio-ökologischen Ambitionen führte und dies seinem Grundanliegen widersprach. Entgegen der klassischen Gewinn-und-Verlust-Rechnung, unter deren Schlussstrich („bottom line“) nur der Profit steht, wollte er drei Ergebnisgrößen (wirtschaftlich, ökologisch und sozial) gemeinsam und im Einklang betrachtet sehen. Elkington stellte damit das Paradigma der „single bottom line“, also der starken Gewinnorientierung ohne Beachtung von ökologischen und sozialen Auswirkungen (negative Externalitäten), in Frage.
Buchhaltungsstandards für den Jahresabschluss blieben davon allerdings weitgehend unberührt. Stattdessen bestimmen Unternehmen – ggf. nach einem Dialog mit den Interessengruppen und unter Beachtung von freiwilligen Standards – überwiegend selbst, welche ökologischen und sozialen Themen sie aus Geschäftssicht als relevant werten. Die damit verbundenen Veränderungsprozesse sind geprägt durch ein Vorgehen zur inkrementellen Verbesserung von selbst gewählten Nachhaltigkeitsindikatoren oder sogenannten ESG-Kriterien (Environment, Social, Governance). Und zwar in Bezug zu selbst gesetzten Referenzwerten und -jahren. Trotz der Anwendung des international weit verbreiteten TBL-Konzepts und dem Management fakultativer ESG-Themen in Unternehmen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten eine Vielzahl ökologischer und sozialer Missstände weltweit verschlechtert. Allen voran das Klimaproblem.

Zwingende Verknüpfung von Nachhaltigkeits- und Finanzberichterstattung

Mit der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) wird die bisherige Nachhaltigkeitsberichtspflicht nach der Non Financial Reporting Directive (NFRD) der EU überarbeitet und vereinheitlicht. Befragungen hatten ergeben, dass die Berichte sehr uneinheitlich ausfallen und nicht die Informationen enthalten, die Kunden und Investoren benötigen. Bisher haben nur große, kapitalmarktorientierte Unternehmen sowie Banken und Versicherungen nach der NFRD (in Deutschland das sogenannte „CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz“ CSR-RUG) berichtet. Ab dem Berichtsjahr 2023 erweitert sich dieser Kreis auf alle Unternehmen ab 250 Mitarbeitern mit einer Bilanzsumme > 20 Mio. EUR bzw. einem Umsatz > 40 Mio. EUR. Damit wird sich die Anzahl der berichtspflichtigen Unternehmen allein in Deutschland von derzeit rund 600 auf 15.000 erhöhen.
An die neue Berichtspflicht geknüpft ist die EU Sustainable Finance Taxonomy (EU-Taxonomie). Damit werden nun erstmals Nachhaltigkeits- und Finanzberichterstattung zwingend im externen Reporting verknüpft und so ein einheitliches Verständnis von nachhaltigen Geschäftsaktivitäten geschaffen. Denn Unternehmen müssen nun zusätzlich zu den in der CSRD festgelegten Berichtsanforderungen im Lagebericht auch den ökologisch nachhaltigen Anteil ihrer Umsatzerlöse, ihrer Investitionsausgaben („CapEx“) sowie ihrer betrieblichen Ausgaben („OpEx“) offenlegen. Dabei wird auch eine Prüfungspflicht für Nachhaltigkeitsberichte als Teil der Rechnungslegung eingeführt.

Drei Prüfschritte zum Taxonomie-Alignment

Zur Ermittlung dieser drei sogenannten Taxonomie-Quoten werden EU-weit einheitliche Nachhaltigkeitsanforderungen für wirtschaftliche Aktivitäten eines Unternehmens definiert. Gemäß der Taxonomie-Verordnung ist eine Wirtschaftsaktivität dann ökologisch nachhaltig, wenn sie drei Prüfschritten standhält (Taxonomie-Konformität). Hierzu muss die Aktivität wesentlich zur Erreichung eines oder mehrerer der nachfolgenden sechs Umweltziele beitragen, darf gleichzeitig die Erreichung der anderen Umweltziele nicht signifikant beeinträchtigen und es müssen bei ihrer Ausübung soziale Mindeststandards eingehalten werden (siehe Abbildung). Die sechs Umweltziele in der Taxonomie-Verordnung sind:

1. Klimaschutz,

2. Anpassung an den Klimawandel,

3. nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser und Meeresressourcen,

4. Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft,

5. Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung,

6. Schutz und Wiederherstellung von Biodiversität und Ökosystemen.

Inwieweit eine Wirtschaftsaktivität einen wesentlichen Beitrag zu den Umweltzielen leistet, und ob sie dabei eines der übrigen Umweltziele erheblich beeinträchtigt, ist mit technischen Bewertungskriterien und darin festgelegten Mindeststandards bzw. Schwellenwerten zu prüfen.

Aller Anfang ist schwer

Die EU-Taxonomie wird aktuell sehr kontrovers diskutiert. Erstanwender aus der Unternehmenspraxis beklagen insbesondere Umfang, Komplexität und Mehrdeutigkeit sowie den damit verbundenen Umsetzungsaufwand des Regelwerks insbesondere für kleinere Unternehmen. Erste Anwendungsbeispiele der Taxonomie zeigen: Nicht alle Anforderungen sind zweifelsfrei verständlich. So stellt sich die Identifikation und Zuordnung von NACE-Codes zuweilen als schwierig heraus. Auch die Einstufung von Wirtschaftstätigkeiten als „grün“, „ermöglichend“ oder „übergangsweise“ stellt Unternehmen vor unerwartete Herausforderungen. Etwa bei der Überprüfung von Schwellenwerten oder wenn der spätere Einsatz von produzierten Komponenten beim Kunden unklar ist bzw. nicht ausreichend spezifisch nachgewiesen werden kann.
In Wissenschaft und Politik steht dagegen die grundlegende Konstruktionslogik der Taxonomie im Hinblick auf die großen und dringenden Probleme unserer Zeit im Mittelpunkt der Diskussion. Zwar basieren die neuen Berichtspflichten auf dem Konzept der doppelten Materialität, wonach nachhaltigkeitsbezogene Sachverhalte nicht nur im Hinblick auf Geschäftsverlauf und -ergebnisse eines Unternehmens offengelegt werden müssen, sondern auch die wesentlichen Auswirkungen des Unternehmens auf die Umwelt und Gesellschaft.
Kritiker sehen jedoch gerade den zweiten Aspekt in der EU-Taxonomie als nicht ausreichend operationalisiert. Demnach seien die definierten Schwellenwerte nicht ambitioniert genug und auch nicht aus wissenschaftlichen Nachhaltigkeitsprinzipien abgeleitet, wie sie beispielsweise im Modell der Planetaren Belastungsgrenzen des Stockholm Resilience Centre, der Science-Based Targets Initiative oder anderen Ansätzen zum Ausdruck kommen. Ein Unternehmen bekäme bei Umsetzung der Taxonomie-Verordnung keine Orientierung, wann es wirklich innerhalb der global verfügbaren ökologischen und sozialen Systemkapazitäten „nachhaltig“ wirtschaftet. Denn dies würde Leistungsstandards erfordern, die jenseits von schrittweiser Schadensreduktion darauf basieren, dass die sozialen und ökologischen Systeme (Gesellschaft und Umwelt) unbeschadet bleiben oder sogar regeneriert werden.
Und auch die Ziele für nachhaltige Entwicklung der United Nations (SDG’s) können nach diesem Anspruch nicht „wahllos“ adressiert werden, sondern müssen den Erhalt der Biosphäre als zentrale und nicht verhandelbare Grundlage garantieren. Einige Kritiker sehen in den quantitativen und qualitativen Leistungsanforderungen der EU-Taxonomie Kompromisse, die zwischen Politik und einflussreichen Lobbyisten ausgehandelt wurden und für den propagierten Übergang in eine nachhaltige Zukunft nicht ausreichen. Und sie fühlen sich angesichts der geplanten Einbeziehung von Atomkraft und Erdgas als grüne Investitionen bestätigt.

Nutzen für Unternehmen und Gesellschaft – eine Frage des Mindsets

Befürworter der CSRD und EU-Taxonomie appellieren daran, das Bessere nicht zum Feind des Guten werden zu lassen. Ähnlich wie bei der Einführung allgemein anerkannter Rechnungslegungsgrundsätze, deren Wurzeln bis in die 1930er Jahre zurückgehen und durch die die wirtschaftliche Leistung von Unternehmen erst vergleichbar wurde, ist ein holpriger Start bei der Einführung und Erfüllung neuer Berichtspflichten nichts Ungewöhnliches. Die neuen Nachhaltigkeitsanforderungen befinden sich im Aufbau mit laufenden Feedback-Schleifen und Konsultationsprozessen, die auch nach Inkrafttreten kontinuierlich Anpassungen erwarten lassen. Ebenso wie die Rechnungslegung wird die neue Form der Offenlegung von Nachhaltigkeitsleistungen auch den strategischen Umgang und das Management von Nachhaltigkeit in Unternehmen auf ein neues Level bringen.
Welcher Nutzen ist nun aber von den neuen Offenlegungspflichten für Unternehmen und Gesellschaft zu erwarten? Die Antwort auf diese Frage hängt maßgeblich von den Mindsets des Managements zum Zusammenhang von Nachhaltigkeit und Unternehmenserfolg ab. Je nach individueller Überzeugung reichen die Implikationen von „Business-as-Usual“ bis hin zu „enkeltauglichen“ unternehmerischen Denkweisen, die langfristig einen Einklang der Geschäftsaktivitäten mit sozio-ökologischen Prinzipien anstreben. Und solche Mindsets sind wichtige Elemente für die Realisierung des von der EU angestrebten Übergangs zu einer nachhaltigen Wirtschaft. Regulierung allein wird hier nicht ausreichen. Aber Regulierung kann die Eintrittskarte in ein neues Bewusstsein werden, wenn sie auf fruchtbaren Boden für Diskurs fällt und damit neue unternehmerische Denkweisen befördert.
Wird die Erfüllung ökologischer und sozialer Standards im Management primär als lästiger Kostentreiber betrachtet, dann stellt die EU-Taxonomie eine unumgängliche weitere Compliance-Anforderung dar, die möglichst kostengünstig und ohne Störung der bisherigen Geschäftsaktivitäten zu erfüllen ist. In diesen Fällen können die angekündigten Regulierungen die skizzierte Sichtweise im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung sogar noch bestätigen und erschweren damit das gewünschte Umdenken.
Betrachten Unternehmen das Thema Nachhaltigkeit primär reputationsorientiert, so werden sie versuchen, im Rahmen der neuen Offenlegungspflichten zweifelsfrei positiv besetzte Nachhaltigkeitsthemen zu identifizieren und zur eigenen Inszenierung intern sowie extern zu nutzen. Das Ergreifen von Reputationschancen muss dabei nicht zwangsläufig zu einer riskanten Exponiertheit oder gar Greenwashing führen, wenn es sich um wirksame sozio-ökologische Maßnahmen handelt, die ohne Übertreibung kommuniziert werden. Die EU-Taxonomie wird nicht nur zu einem inhaltlichen, sondern auch kommunikativen Nachhaltigkeitswettbewerb führen, da kein Unternehmen gegenüber seinen Kunden, Eigentümern, Banken und Mitarbeitenden ein Negativbeispiel sein möchte.
Sehen Manager das Thema Nachhaltigkeit dagegen als eine unternehmerische Herausforderung, die man möglichst effektiv und effizient bewältigen muss, dann finden sie in der EU-Taxonomie einen detailliert ausgearbeiteten Katalog an Themen, mit denen sich systematisch Pfade für die strategische Ausrichtung des Kerngeschäfts ableiten lassen. Denn bei der konkreten Umsetzung werden Taxonomie-Anwender mit Fragen und Überlegungen zu Kerngeschäft und Nachhaltigkeit konfrontiert, die sie sich bislang mutmaßlich noch nicht gestellt haben. Die geschaffene Transparenz liefert einen neuen Blick auf die Klärung der strategischen Ausgangssituation sowie Impulse für die nachhaltigkeitsorientierte Entwicklung von Strategien und Geschäftsmodellen, beispielsweise hinsichtlich Ressourceneffizienz, der Schaffung einer Kreislaufwirtschaft, der nachhaltigen Ausgestaltung von Produkten oder Produktportfolios sowie zukünftig attraktiver Marktsegmente. Diese Impulse gilt es unter Berücksichtigung weiterer Transformationstreiber wie Digitalisierung, neuer Services oder den Wandel der Arbeitswelt zu einem erfolgversprechenden strategischen Generalbebauungsplan zu kombinieren.

Weitere Entwicklungen zu Offenlegungspflichten

Bereits jetzt werden zwei einschlägige Weiterentwicklungen der EU-Taxonomie diskutiert, die über die Beseitigung konzeptioneller Unklarheiten sowie die detaillierte Ausarbeitung der weiteren Umweltziele hinausgehen. Erstens ist dies die Ausgestaltung einer braunen Taxonomie, durch die Unternehmen dann auch Umsätze aus bzw. Investitionen in nicht nachhaltige Wirtschaftsaktivtäten offenlegen müssten. Durch diese weitere Ausdifferenzierung würden Unternehmen, die Umweltziele mit ihren Geschäftsaktivitäten wesentlich gefährden („significantly harm“), mit steigenden Finanzierungskosten bzw. mit Ausschluss aus Förderprogrammen und Versicherungsschutz konfrontiert, was unabhängig von der Taxonomie teilweise heute schon der Fall ist. Zweitens ist eine Sozial-Taxonomie zu erwarten, in der ein wesentlicher Beitrag von Wirtschaftsaktivitäten zu sozialen Zielen wie menschenwürdiges Arbeiten, integrative Gemeinschaften, erschwingliche Gesundheitsvorsorge und bezahlbarer Wohnraum geregelt ist. Diese würde dann zusätzlich zum Gesetz über die unternehmerische Sorgfaltspflicht in Lieferketten gelten, welches in Deutschland ab 2023 in Kraft tritt. Bislang konzentriert sich das Regelwerk der EU-Taxonomie auf ökologische Ziele.
Flankierend zu den Offenlegungspflichten der EU sind mit der Gründung des International Sustainability Standards Board (ISSB) im November 2021, welche medienwirksam auf der UN-Klimakonferenz COP-26 in Glasgow bekannt gegeben wurde, zudem schon bald weitere internationale Standards für die Berichterstattung von Nachhaltigkeitsthemen zu erwarten. Unter der Leitung des Nachhaltigkeitsverfechters und ehemaligen CEOs von Danone, Emmanuel Faber, hat sich das ISSB mit Sitz in Frankfurt ab 2022 zum Ziel gesetzt, die internationale Berichterstattung bezüglich Umwelt-, Sozial- und Governance-Themen (ESG) zu vereinheitlichen und damit eine verlässliche Entscheidungsgrundlage für global agierende Investoren und andere Kapitalmarktteilnehmer zu schaffen. Darüber hinaus arbeiten noch weitere Organisationen wie beispielsweise die Value Balancing Alliance (VBA) an branchenübergreifenden globalen Standards zur Messung und monetären Bewertung des ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Wertbeitrags von Unternehmen.

Ausreichende Vorbereitungsphase für Erstberichtende

Was sollen Unternehmen angesichts der sich dynamisch entwickelnden Offenlegungspflichten jetzt konkret tun? Fest steht: Ab dem Berichtsjahr 2023 werden Unternehmen bereits ab einer Größenordnung von 250 Mitarbeitern verpflichtend einen Nachhaltigkeitsbericht (nach der neuen CSRD, zusammen mit den Angaben zur Taxonomie) erstellen müssen, der festen Vorgaben entspricht und einer Wirtschaftsprüfung standhält. Für Erstberichtende lassen sich bereits jetzt zwei Empfehlungen geben:
Erstens ist bis zur Wirksamkeit der gesetzlichen Pflicht eine systematische Vorbereitung der Organisation sinnvoll. In Anlehnung an die vorher skizzierten Mindsets ist insbesondere zu klären, welche unternehmerische Zielsetzung mit der Umsetzung neuer Offenlegungspflichten verfolgt wird. Geht es ausschließlich um eine möglichst kostengünstige Erfüllung von Compliance-Anforderungen oder um die strategische Nutzung als Innovationstreiber im Sinne des „Sustainopreneurships“? Aufgrund der zu erwartenden unterschiedlichen Sichtweisen zum Thema Nachhaltigkeit ist es auch wichtig, ein einheitliches Verständnis zu schaffen, was im jeweiligen Unternehmens- und Branchenkontext darunter verstanden wird und welche Ambitionen damit verbunden sind. EU-Taxonomieprojekte sind in hohem Maße interdisziplinär. Wichtig ist zu Beginn, neben der Nachhaltigkeitsabteilung alle betroffenen Unternehmensbereiche wie Controlling, Compliance, Vertrieb und Produktion in die Reporting-Fragen zu integrieren und frühzeitig „an Bord“ zu holen. Eine Finanzvorstands-Unterstützung erscheint sinnvoll, damit von Anfang an die Verknüpfung von taxonomie-relevanten Tätigkeiten mit Finanzkennzahlen einen hohen Stellenwert erhält und von allen Unternehmensbereichen mitgetragen wird.
Zweitens können im Rahmen einer Vorstudie zur Nachhaltigkeits-Berichterstattung und EU-Taxonomie frühzeitig Prozesse aufgebaut, Daten gesammelt, Informationslücken identifiziert und Mitarbeitende in den Unternehmensbereichen sensibilisiert werden. Auch wenn die später gültigen Berichtsanforderungen der EU bislang nur in Teilen vorliegen, kann es sinnvoll sein, bereits jetzt mit bislang gültigen Standards zu beginnen, um erste Erfahrungen zu sammeln und Abläufe zu etablieren. Denn die neuen Standards der CSRD werden sich erwartungsgemäß an bestehenden Rahmenwerken orientieren. Und auch Vieles zur EU-Taxonomie liegt bereits vor. Es ist empfehlenswert, sich nicht von unklaren Formulierungen und fehlenden Angaben zu spezifischen Branchen verunsichern zu lassen. Eigene qualitative Angaben sollten dennoch erfolgen und gegebenenfalls frühzeitig mit einem Wirtschaftsprüfer besprochen werden.

Grundlegende Analyse von Geschäftsaktivitäten

Für die Taxonomie sind Screening Kriterien für zwei von sechs Umweltzielen bereits veröffentlicht – die weiteren folgen im Laufe des Jahres. So hat die EU beispielsweise 88 als „grün“ eingestufte Wirtschaftsaktivitäten und zugehörige Schwellenwerte für den Klimaschutz in verschiedenen Bereichen wie Verarbeitendes Gewerbe bzw. Herstellung von Waren, Energie, Verkehr oder Neubau definiert. Unternehmen können anhand einer tabellarischen Aufstellung prüfen, ob sie darin aufgelistete „grüne“ Tätigkeiten direkt selbst praktizieren oder diese bei anderen Unternehmen unmittelbar ermöglichen und damit helfen, dass diese ihren CO2-Ausstoß senken (ermöglichende Tätigkeiten). Darüber hinaus können bei der Ermittlung der Taxonomie-Quoten auch sogenannte Übergangstätigkeiten berücksichtigt werden. Diese tragen zur Dekarbonisierung der Wirtschaft bei, auch wenn es für sie aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen derzeit noch keine klimafreundlichen Alternativen gibt. Die verursachten Emissionswerte müssen dann allerdings zu den Besten der Branche gehören.
Sind in diesem ersten Schritt sogenannte taxonomiefähige Wirtschaftsaktivitäten des Unternehmens identifiziert, so muss in einem nächsten Schritt für jede Aktivität die Einhaltung von festgelegten Schwellenwerten und ökologischen Leistungskriterien überprüft werden. Diese stellen Mindestanforderungen für die Taxonomie-Konformität der Wirtschaftsaktivitäten dar, was die Grundlage für eine Zuordnung von grünen Umsatzanteilen, Investitionen oder betrieblichen Ausgaben ist. Analog ist das Vorgehen für die Bewertung des Beitrags eines Unternehmens zur Anpassung an den Klimawandel, für die auch bereits eine definierte Aktivitätenliste und Leistungsniveaus vorliegen.

Gewonnene Erkenntnisse strategisch nutzen

Aus strategischer Sicht können Unternehmen die Auseinandersetzung mit den ersten beiden Umweltzielen der EU-Taxonomie bereits jetzt nutzen, um Impulse zur Schaffung organisationaler Sustilienz® zu gewinnen (= Nachhaltigkeit und Resilienz). Dem folgend agieren Organisationen mit ihren Wirtschaftsaktivitäten bezogen auf Klimaschutz „nachhaltig“ (z.B. klimaneutral oder regenerativ) und entwickeln gleichzeitig eine entsprechende Anpassungsfähigkeit an Klimaveränderungen. Durch das Regelwerk werden klimawirksame Wirtschaftsaktivitäten in Unternehmen aufgezeigt und die Klärung des eigenen Beitrags für eine Dekarbonisierung der Wirtschaft erleichtert. Da das Anspruchsniveau und die Ziele hinsichtlich Nachhaltigkeit nun operationalisiert werden, wird auch eine Grundlage für die Integration und Steuerung von Nachhaltigkeitsthemen in allen Bereichen und Prozessen des Unternehmens geschaffen.
Darüber hinaus bieten die Offenlegungspflichten eine Chance, bisher nicht kommunizierte Nachhaltigkeitsleistungen zu identifizieren, Ambitionen zu klären und beides gegenüber Kunden, Geschäftspartnern, Banken und Mitarbeitern bekannt zu machen. Neben dem gesetzlich vorgeschriebenen Bericht, der in Zukunft in Form eines separaten Abschnittes im Lagebericht integriert werden muss, können die gesammelten Informationen vielfältig in der internen und externen Kommunikation eingesetzt werden. Transparenz über Nachhaltigkeitsambitionen und -erfolge entspricht den heutigen Markterfordernissen und ist zum Wettbewerbsfaktor geworden.
In den neuen Offenlegungspflichten werden vielfältige gesellschaftliche Herausforderungen unserer Zeit adressiert. Werden diese im Management als strategische Suchfelder betrachtet, dann bietet die geschaffene Transparenz zahlreiche unternehmerische Möglichkeiten. Abhängig vom Mindset können Unternehmen vom Problem zur Lösung werden, wenn sie gemeinsam mit relevanten Stakeholdern in einem partizipativen Innovationsprozess Umwelt- und Soziallösungen erarbeiten. Und damit als ein Treiber des Wandels selbst an einem milliardenschweren Zukunftsmarkt partizipieren.

Autoren: Prof. Dr. Thomas Wunder & Dr. Isabell Sprenger

Zitierweise: Wunder, T., Sprenger, I. (2022, 10 Januar): Neue Offenlegungspflichten und EU-Taxonomie: Beginn einer Zeitenwende für Nachhaltigkeitsberichte, Rechnungslegung und Strategieentwicklung. LinkedIn Post, https://www.linkedin.com/pulse/neue-offenlegungspflichten-und-eu-taxonomie-beginn-einer-zeitenwende-, (abgerufen am <Datum>)